Archiv der Kategorie: Russland

Jekaterinburg

Do. 28.08.2014

Nachtzugticket von Kazan nach Jekaterinburg
Nachtzugticket von Kazan nach Jekaterinburg

Ich kam um 8 Uhr Ortszeit in Jekaterinburg an, als die Hochhäuser noch im Nebel steckten. Nun war ich also in Asien. Im Red Star Hostel erkannte mich Svetlana an meinem Pass als Deutscher und sprach mich auf deutsch an. Sie hat ihr Ethnologie-Studium in Orenburg mit Auslandssemester in Heidelberg abgeschlossen und beantragt nun ein Studentenvisum für Deutschland, um in Heidelberg weiter zu studieren. Sie bat mich, ihr einseitiges Motivationsschreiben an ihrem Laptop Korrektur zu lesen, musste dann gleich los zum Konsulat und wieder nach Hause. Da ich mein Bett schon beziehen durfte, holte ich etwas Schlaf nach und streunerte erst am Nachmittag ohne Touri-Plan durch die Innenstadt.

Blick in Richtung Stadtteich
Blick vom Isetskijpark in Richtung Stadtsee und Kathedrale auf dem Blut
Skater vor dem Monument der Stadtgründer
Skater vor dem Monument der Stadtgründer

Abends hörte ich über mein Tablet, was das deutsche politische Kabarett so macht.

Fr. 29.08.2014
Am Tag darauf fuhr ich mit dem Regionalzug 40 km Richtung Westen zurück zur europäisch-asiatischen Grenze. Ich stieg gezielt irgendwo im Nichts aus und schlug mich 1500 Meter durch den nassen und sumpfigen Wald, um zum gewünschten Denkmal zu kommen. Die auf Google Maps schwach zu erkennende Schneise war gar nicht so leicht zu finden und mangels Sonne sowie immer dichter werdendem Wald konnte ich mich nicht sonderlich gut orientieren. Irgendwann befand ich mich auf dem richtigen breiten Pfad und musste am Schluss nur noch um die Abzäunung eines im Bau befindlichen Hauses und da war ich am Denkmal, mit dreckigen Schuhen und nassen Hosebeinen.

Links Europa - rechts Asien
Links Europa – rechts Asien

Für den Weg zurück zum Regionalzug nahm ich auf der Hauptstraße einen Bus in die Stadt Perwouralsk und bekam dadurch das dortige Denkmal der Gefallenen im Zweiten Weltkrieg zu sehen. Wieder im Hostel traf ich Detlev, 62, aus Berlin, der mit mir noch um die Ecke ins Pub Ben Hall ging. Wir sahen nur noch die letzten zwei Lieder der Live-Band dort, danach war Disco und plötzlich wollte Detlev tanzen. Er war vor mir auf der Tanzfläche und tanzte dazu wie ein Junger.

Sa. 30.08.2014
Bei wechselhaftem und sehr windigem Wetter schaute ich mir zunächst das Boris-Jelzin-Denkmal in der gleichnamigen Straße an. Jelzin ist hier aufgewachsen, hat hier studiert und zu seinen Anfangszeiten politisch gewirkt. Auch wenn seine Amtszeit bei den Russen eher negativ gesehen wird, wird hier in seiner Heimatstadt gerade an einem Jelzin-Zentrum gebaut, ich stand also auf einer großen Baustelle. Weiter ging’s am Stadtsee entlang zur Kathedrale auf dem Blut, die 2003 eingeweiht wurde.

Vor dem Stadtsee und der Kathedrale auf dem Blut
Vor dem Stadtsee und der Kathedrale auf dem Blut

Hier stand bis zum von Jelzin (damals Parteichef der Region) angeordneten Abriss 1977 das Ipatjew-Haus, in dem die Bolschewisten 1918 die russische Zarenfamilie ermordeten. Außerhalb der Kathedrale sind Bilder von der Familie um Zar Nikolaus II. und auch ein Denkmal.

Kathedrale auf dem Blut
Kathedrale auf dem Blut

Das Gelände ist anscheinend ein Wallfahrtsort für Anhänger der Monarchie, wovon ich an diesem späten Samstag Nachmittag nichts mitbekommen habe. Dafür ging ich in die Kathedrale und wohnte dem dortigen Gottesdienst bei, als zwei Priester mit Weihrauchfass um die Gemeinde gingen. Ich bekreuzigte mich mehrfach wie die anderen Gläubigen (etwas großflächiger als gewohnt) und nahm den Segen gerne mit. Durchs Grüne, an einer Beatles- und Graffitiwand sowie einem Computer-Tastatur-Denkmal vorbei ging ich zum Hostel. Das Wetter wurde immer besser und der Wind legte sich, also konnte ich den auf dem Rückweg gefundenen Weg bis zum Stadtsee und zurück entlangjoggen. Ich fühlte mich fast schon etwas heimisch. Spät abends ging ich noch in die nah gelegene Disco Podzemka, wo auf Bildschirmen ein Bericht über den derzeitigen deutschen Fußball kam und ich nochmal sehen konnte, wie der WM-Pokal in den Händen der deutschen Spieler war. Zum Tanzen war mir nicht zumute, ich hatte ja schon Sport gemacht.

So. 31.08.2014
Es war mal wieder genug Wäsche zum Waschen und am Nachmittag skypte ich mit meinen Eltern, die sehen konnten, dass es mir gut ging. Leider ist die Post aus Moskau noch nicht da, es wird also noch ein heißer Tanz mit den Visa für China und Myanmar. Den Rest des Nachmittags fuhr ich an den Stadtrand zum schön gelegenen Schartaschsee. Hier gönnen sich die Stadtbewohner die Ruhe im Sommer, der sich hier doch sichtlich dem Ende entgegen neigte.

Schartaschsee
Schartaschsee

Leider regnete es zwischendurch immer wieder, was die Einheimischen, z.B. zwei Mädchen in Jogging-Klamotten und durchnässten Kapuzenpullis, nicht arg störte. Auf dem Heimweg ging ich durchs riesige und moderne Einkaufszentrum Grinwitsch. Im dortigen Supermarkt waren die Waren akribisch genau eingeordnet, es arbeiteten auch genug Menschen hier. Zudem gab es einfach alles zu kaufen, auch jegliche Ware aus dem westlichen Ausland. Von den Sanktionen habe ich hier nichts bemerkt. Abends schrieb ich meinen Blog und stöberte durch die russische Geschichte.

Mo. 01.09.2014
An meinem letzten vollen Tag in Russland kümmerte ich mich zunächst um die Weiterreise und beschloss, dass ich für Usbekistan doch reichlich Dollar zum Wechseln besorgen sollte. Also wechselte ich Rubel in Dollar um und hob an einem Raiffeisenbank-Geldautomaten direkt Dollars ab. Auch wenn vieles beschwerlicher ist als in Deutschland, aber das ging einfacher, mal abgesehen vom Dollar-Geldgeschenk der Mathe/Physik-Fachschaft. Es war noch Zeit für die Aussichtsplattform im 52. Stockwerk des Hochhauses namens Wysotskij, von der aus ich bei windigem und kühlen, aber sonnigem Wetter wunderbar in alle Richtungen sehen konnte, insbesondere über die Stadtseen bis zum Ural.

Blick über die Stadt bis zum Ural
Blick über die Stadt bis zum Ural

Wieder unten, ging ich durch einem Park, in dem viele Schüler das Wiedersehen am ersten Schultag mit Alkohol begossen.

Erster Schultag
Erster Schultag

Zuletzt wollte ich noch zum Oberen Isetskijsee am westlichen Stadtrand. Dies gelang mir auch, aber keine der beiden Halbinseln im See schienen zugänglich zu sein. Die vielen Absperrungen aufgrund von Privatbesitz, Hotel, Baustelle oder Ähnlichem waren sehr frustrierend, aber irgendwann musste ich aufgeben. Dennoch war es am Seeufer neben Anglern und mit dem Ural-Gebirge im Hintergrund sehr schön.

Der Werch-xx-See und das Ural-Gebirge im Hintergrund
Der Obere Isetskijsee und das Ural-Gebirge im Hintergrund

Zum Abendessen ging ich wie an vielen Tagen zum russischen Buffet-Restaurant namens „Wilka Loschka“ (auf deutsch: Gabel Löffel). Hier gab’s zum Beispiel Buchweizen, Gemüse und bereits in kleine Stücke geschnittene Melonen. Schön, wenn man gesundes Essen nicht mühevoll selber machen muss.

Di. 02.09.2014
Nun hieß es also Abschied nehmen von Russland. Meinen zeitlichen Puffer brauchte ich auf, weil die Marschrutka an meiner Haltestelle nach fast 30 Minuten Wartezeit vorbeifuhr und ich am Ende nochmal im Hostel nach einem Taxi fragen musste. In leichter Panik, was denn wäre, wenn das mit dem russischen Ausreisedatum nicht klappen würde, wartete ich sehnsüchtig auf mein Taxi. Es kam ein Minibus für mich alleine und ich war am Ende doch 90 Minuten vor dem Abflug am sehr entspannten Flughafen. Do swidanje, Rossija.

Kazan

Mo. 25.08.2014
Bei Sonnenschein kam ich am frühen Morgen in Kazan 800 km östlich von Moskau an. Kazan ist die Hauptstadt der Republik Tatarstan innerhalb Russlands. Beim Stichwort Tataren zuckt man vielleicht zuerst zusammen, aber hier leben die muslimischen Tataren und orthodoxen Russen friedlich neben- und miteinander. Das Erscheinungsbild der Menschen ist somit auch gemischter: Es gibt mehr Menschen mit dunkelbraunen Augen und die ganz religiösen Tatarinnen tragen Kopftücher. Bei Männern sieht man vermehrt die traditionelle Kopfbedeckung Tubeteika. Im Hostel konnte ich erst am Nachmittag einchecken, also ging ich an den Kabansee in der Stadt und in den Jahrtausendpark, wo ich umgeben von Kindern (begleitet von ihren Müttern oder Großeltern) an meinem Blog weiterschrieb.

Kazan
Blick über den Kabansee in Richtung Tatarensiedlung

Im kleinen 5-Bett-Zimmer mit außergewöhnlich guten Matratzen traf ich Slawo aus Nowosibirsk, endlich einen groberen Klotz, so wie man sich einen Russen in Deutschland vorstellt. Auch ein Chinese aus Xi’an war im Zimmer. Beide sprachen keine Fremdsprachen. Aber Slawo hatte auf seinem Tablet eine App, die die Sprache direkt übersetzte, also z.B. auch vom Chinesischen ins Russische, was nicht immer perfekt funktionierte. Slawo meinte über die Übersetzer-Stimme: „Sie hat Kopfschmerzen.“ Wir lachten gemeinsam und das Eis war doch etwas gebrochen. Leider war für den nächsten Tag Regen angesagt, also mietete ich mir ein Fahrrad, um schnell viel von der Stadt zu sehen. Radwege gibt’s keine in der Stadt, also fährt man in der Autospur oder schlängelt sich durch die noch holprigeren Fußgängerwege. Ich sah mir zuerst den Hafen an der Wolga an, wo man leider nur als Passagier richtig rankommt.

Am Hafen an der Wolga
Am Hafen an der Wolga

Hier in Kazan fließt der Fluss Kazanka in die Wolga. Die Kazanka ist zu Füßen des Kazaner Kreml und dort oben stehen eine orthodoxe Kirche und eine Moschee nebeneinander, sehr beeindruckend.

Vor dem Kazaner Kreml
Brücke über die Kazanka und der Kazaner Kreml

Von meinen in Moskau für die Nachtzugfahrt eingekauften Lenensmitteln konnte ich noch am Abend zehren. Ich hatte also alles richtig gemacht und auf russische üppige Art eingekauft.

Di. 26.08.2014
Am Regentag traf ich Davide, der in Sachsenheim aufgewachsen ist, und Freddy aus Chile. Davide will in Richtung Kaukasus weiterreisen und Freddy hat in London Geld verdient und möchte 18 Monate reisen. Meine einzige Aufgabe war es, mein Nachtzugticket nach Jekaterinburg zu besorgen. Über die Russische Bahn konnte ich nicht mehr online per Kreditkarte zahlen, warum weiß ich nicht. (Nach meinem Kontakt zur DKB konnte ich in Kazan glücklicherweise wieder Bargeld abheben.) Also durfte ich das Suchen des richtigen Bahnkartenschalters, Anstehen in der Schlange und Kommunizieren auf russisch wenigstens einmal erleben. Mit dem richtigen Ticket in der Hand war der Tag somit sinnvoll gefüllt. Abends traf ich mich mit Davide und Sascha, der ursprünglich aus dem nördlichen Sibirien kommt, in der Hostelküche. Da Sascha nur russisch sprach, war es ein glücklicher Zufall, dass später Jenny und Micky aus Hamburg als Dolmetscherinnen dazu kamen. Sie warteten auf die Abfahrt ihres Nachtzuges an den Baikalsee. Als wir auf deutsche Musik (Sascha kannte Rammstein und Lena Meyer-Landrut) zu sprechen kamen, waren wir auch schnell bei Helene Fischer und schauten auf Saschas Smartphone an, wie sie als Russlanddeutsche das russische Volkslied Katjuscha singt.

Micky, Jenny, Sascha und Davide hören Helene Fischer
Micky, Jenny, Sascha und Davide hören Helene Fischer

Sonst unterhielten wir uns aber ohne Handy, und das sehr gut.

Mit Sascha, Micky und Jenny kurz vor dem Abschied
Mit Sascha, Micky und Jenny kurz vor dem Abschied

Di. 26.08.2014
Am nächsten Morgen verlotterte ich etwas die Zeit und da es mir auch etwas übel war, fiel die Fahrt außerhalb der Stadt zum Tempel aller Religionen leider aus. Mein Zug fuhr schon vor 4, also ging ich mit Davide, Freddy und dem Kazaner Couchsurfer Roman, den Davide angeschrieben hatte, Richtung Stadtzentrum. Roman wohnt in einer eigenen Wohnung, was in Russland als Single eher ungewohnt ist, seine Familie ist eher reich. Er hatte einen Händedruck, dass es einem die Hand zerbröselte und war sehr bestimmend. Im kurzen Gespräch mit ihm konnte ich dennoch mehr über die russische Mentalität erfahren: Familie, Autos usw. Auf meinem Weg zum Bahnhof hatte ich noch etwas Zeit, somit setzte ich mich in einen Park und hörte Musik. Es setzten sich drei Jungs etwas jünger als ich neben mich auf die Bank. Später kamen wir ins Gespräch, soweit das mein Russisch zuließ. Als wir uns mit Namen vorgestellt hatten und ich zusammenpackte, setzte einer noch den Dackelblick auf und wollte Geld, zuerst sagte er für Essen und dann mit einem Augenzwinkern „für bayerisches Bier“ (kann man in Russland tatsächlich kaufen). Das war schon sehr lustig, aber ich blieb meinem Grundsatz treu, in so einer Situation den Geldbeutel nicht herauszuholen. Auch musste ich es aushalten, dass die anfänglich gute Atmosphäre dadurch dahin war. Rückblickend betrachtet waren das Jungs, die nicht gerade als große Gewinner in Putins Russland dastehen: höchstwahrscheinlich kein Job, keine Frau (mehr) und dem Geruch nach ein Alkoholproblem. Aber auch sie hatten diese russische herzliche Art. Zuletzt ging ich noch über den dortigen Zentralen Marktplatz, wo es alles in großen Mengen zu kaufen gab: Obst, Gemüse, Gewürze, Trockenfrüchte, aber auch Kleidung, Schmuck oder Elektronik. Man merkte den tatarischen Einfluss. Im Zugabteil war eine Frau mit einem sechsjährigen Kind und später kam ein älterer Herr dazu, der viel mit mir sprach, auch wenn ich trotz Wörterbuch nicht immer alles verstanden habe. Beim Essen konnte ich doch tatsächlich mal punkten, weil ich meine Teebeutel schneller zur Hand hatte. Er nahm ihn dankend an, um es mir anschließend im Doppelten und Dreifachen wieder zurückzugeben: ich bekam ein mit Reis und Rosinen gefülltes süßes Brötchen. Ich verbuche es dennoch als großen Erfolg, wir haben geteilt und getauscht.

Moskau

Mi. 20.08.2014
Ich musste beim Anflug an die Scorpions und an Dschinghis Khan denken: „I follow the Moskva down to Gorky Park listening to the wind of change. An August summer night…“ und „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land, ho ho ho ho ho, hey!“. Die Ankunft im Godzillas Hostel verlief problemlos, aber mir kamen in der U-Bahn-Station riesige Menschenmassen von der Arbeit im Stadtzentrum entgegen. Meine Suche nach einem Internetcafe, um die Visumsantrags-Unterlagen für China auszudrucken, schlug ordentlich fehl. Immerhin gab es Bliny (Gefüllte Pfannkuchen) und Kartoffelecken von einer süßen Bedienung, die mich freundlich anlächelte.

Do. 21.08.2014
Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich damit, den Reiseverlauf für meine 25 Tage in China mit allen gebuchten Unterkünften, Nachtzügen und Flügen fertigzumachen und auszudrucken.

Reiseplan für alle China-Kenner oder Neugierige
Reiseplan für alle China-Kenner oder Neugierige

Dabei war ein Copy-Shop in der Nähe des Hostels sehr hilfreich. Zudem musste ich die Lieferadresse in Bischkek nochmal ändern, weil sich beim anfangs angedachte Hostel nie jemand zurückmeldete. Ich bin ja gespannt, wie das mit dem internationalen Kurierdienst funktioniert und ob mein wirklicher Reiseverlauf in China dem auf dem Papier entsprechen wird. Weil ich ins Bayanbulak-Grasland gehen und mehr Zeit auf dem Emei Shan verbringen möchte, werde ich drei Übernachtungen, die auf dem Zettel stehen, schon mal nicht antreten. Rechtzeitig eine halbe Stunde vor der Schließung kam ich beim Postamt mit all den Papieren an. Es „arbeiteten“ vier Damen dort, wobei sich drei nicht um die Kunden kümmerten. Die vierte arbeitete die komplizierten Belange meiner zwei Vorgänger ab und zwei Minuten vor der Schließung war ich dann dran. Sie gab mir einen Umschlag und half mir sehr freundlich und geduldig beim Ausfüllen der Absender-Adresse. Geschafft! Nun dürfen sich meine Eltern auf Post aus Moskau freuen und meinen Antrag für die VisumCentrale komplettieren und abschicken. Und dann wird mein Zweitpass mit den Visa für China und Myanmar im Oktober nach Bischkek geschickt, wo ich ihn im Nomad Hostel ein paar Tage vor meiner Einreise nach China freudig entgegennehmen werde. Reisen kann manchmal auch beschwerlich sein. Nun konnte ich meinen erfolgreichen Arbeitstag, womöglich den einzigen auf meiner Reise, bei russischem Bier im Hostel feiern.

Die ausgedruckten Papiere
Die ausgedruckte Sicherheitskopie der Papiere – man beachte den roten Stempel mit chinesischem Stern auf der Einladung nach Xinjiang in meiner Hand

Währenddessen kümmerten sich die Waschmaschine und nach langer Wartezeit auch der Trockner des Hostels um meine Wäsche. Dabei kam ich mit einer jungen internationalen Reisegruppe (transsibirische Eisenbahn Sankt Petersburg-Peking über Irkutsk und Ulan Bator in drei Wochen) und meinem Zimmerkollegen George aus Genf ins Gespräch. Ein australisches Paar nutzt die Reise, um von London wieder zurück nach Australien zu ziehen, wahrscheinlich nach Melbourne, da werde es dann schon einen Job für sie geben. Ein Paar aus der Schweiz wird insgesamt acht Monate reisen und ist so wie ich am Anfang. Es fühle sich bisher nur wie ein normaler Urlaub an. Das Gefühl kenne ich. Diese Bekanntschaften blieben an dem Tag aber eher oberflächlich.

Fr. 22.08.2014
Nun konnte das Touristenprogramm beginnen: Am Bolschoi-Theater vorbei ging ich zum Roten Platz. Dort war ich von der Mächtigkeit der Bauten rundum regelrecht erschlagen. Weil in der Woche darauf ein internationales Militärmusik-Festival stattfand, war der Rote Platz leider größtenteils von einer riesigen Bühne zugebaut. Eine Regenpause nutzte ich für einen Bummel im riesigen und teuren Einkaufszentrum GUM, in dem passend Schostakowitschs Walzer gespielt wurde. Auch ging ich nochmal am geschlossenen McDonals’s am Okhotny Ryad vorbei. Umbaumaßnahmen, dachte ich tags zuvor und las erst im Internet, dass wieder ein bisschen Kalter Krieg gespielt wird.

Geschlossener McDonald's
Geschlossener McDonald’s

Mit der U-Bahn ging’s zum Nowodewitschi-Kloster, wo am gleichnamigen Teich ein nettes Mädchen ein Foto von mir machte und meinen Dank mit einem Lächeln und Knicks entgegennahm. Abends im Hostel saß ich mit ein paar Leuten der Transsib-Reisegruppe und Hugh, der freundlich Wodka anbot, zusammen. Hugh (USA) ist über 60 und hat bis vor kurzen in Saudi-Arabien Business English unterrichtet. Er zeigte beeindruckende Fotos vom Tauchen und erzählte vom Leben in Saudi-Arabien, z.B. dass es schwierig sei, weil viele dort für ihren Reichtum nie etwas arbeiten mussten, während die Drecksarbeit unter widrigsten Bedingungen von Ausländern v.a. aus Ostafrika gemacht werde. Carola aus Dortmund erzählte mir, dass die organisierte Transsib-Reise 2000 Euro kostete und gemeinsam machten wir Sicherheitskopien unserer Fotos. Beim Versuch der Buchung des nächsten Nachtzugs und beim probehalben Geldabheben tags darauf stellte ich fest, dass meine Kreditkarte nicht mehr funktionierte. Lag es an den vielen China-Buchungen der letzten Tage?

Sa. 23.08.2014
Jedenfalls verlor ich einen halben Tag und ging dann zum Museon, dem Künstler-Gelände, wo der 15. Geburtstag der Live-Musik-Kneipe Chinesischer Pilot Jao Da mit einem Open-Air-Festival-Tag gefeiert wurde, Ksenias Tipp. Die Atmosphäre dort war sehr entspannt und die georgische Band Asea Sool hat mir gut gefallen.

Vor der Moskwa und dem Kreml
Vor der Moskwa und dem Kreml

Da nun das Wetter gut für Touri-Fotos war, ging ich in den Gorky Park und entlang der Moskwa Richtung Kreml, um abends mit Lucas aus Brasilien nochmal zum Open-Air bei schöner abendlicher Kulisse zu gehen.

Vor dem Denkmal für Peter I. den Großen und der Christ-Erlöser-Kathedrale
Vor dem Denkmal für Peter I. den Großen und der Christ-Erlöser-Kathedrale

Zur Musik der Band Markscheider Kunst tanzte das Publikum ausgelassen mit.

Mit Lucas bei der Live-Musik
Mit Lucas bei der Live-Musik

Lucas ging heim und ich suchte noch einen Ort zum Tanzen, wobei ich eine dem Classic Rock Cafe ähnliche Kneipe fand. Auf dem Heimweg ging ich am weihnachtlich beleuchteten GUM und am nahezu menschenleeren Roten Platz vorbei.

So. 24.08.2014
An meinem letzten Tag ging ich zunächst mit Lucas zur Basilius-Kathedrale für Beweis-Fotos.

Vor der Basilius-Kathedrale
Vor der Basilius-Kathedrale

Nun war der plichtgemäße Kreml-Besuch dran. Hier nervten mich die uniformierten Wichtigtuer besonders. Man durfte sich nicht überall aufhalten und wurde prompt zurückgepfiffen. Eine ältere Dame allerdings ließ sich dennoch nicht aufhalten und nahm eine Abkürzung. Das Innere des Kreml war dennoch beeindruckend: die vielen Kathedralen, der Große Kremlpalast und ein schöner Park.

Vor dem Großen Kremlpalast
Vor dem Großen Kremlpalast

Als letztes ging ich noch durch die belebte, angenehme Arbat-Straße (Fußgängerzone). Für die Nachtzugfahrt nach Kazan hatte ich ein Abteil für mich, somit aber niemanden zum Teilen meiner üppig eingekauften Lebensmittel.

Murmansk

So. 17.08.2014
Ich durfte mein Zimmer im Hotel Morjak schon zu so früher Stunde beziehen und konnte die Nacht dadurch verlängern. Im Regen ging ich zur Besichtigung des Atom-Eisbrechers Lenin aus dem Jahr 1957. Mein Ticket konnte ich wohl in halbwegs unfallfreiem Russisch bestellen, denn ich bekam den günstigeren Preis für russische Bürger. Der Führer hatte die Ruhe weg und erklärte alles in vollem Umfang. Das, was ich sah, sprach für sich: Enge Gänge zwischen den Kabinen, Esszimmer/Kantine/Gemeinschaftsraum, Konferenzsaal, Musikraum mit Flügel, Kapitäns-Kabine, Maschinenraum, Brennstäbe (wo sie damals waren), Steuerzentrale und ein imposanter Hauptaufgang mit einem Bild und einem Zitat von Lenin.

Steuerzentrale des Atom-Eisbrechers Lenin
Steuerzentrale des Atom-Eisbrechers Lenin

Mein Abend: Regen, Internetcafe-Suche, China-Visum-Unterlagen, Skype-Telefonat im McDonald’s mit meinen Eltern und ein Murmansker Bier (Piligrim) im Caffe la Vita. Da ich noch nicht genug hatte, ging ich im Regen zum Bowling/Disco-Multikomplex Sfera, von dem auch Jurij im Zug geredet hatte. Ein herrenloser Hund folgte mir und wir schauten beide etwas begossen und sehnsuchtsvoll über die Straße, wo denn nun das Sfera bleibt. Ich musste wirklich lachen, obwohl ich mal wieder ziemlich nass war. Im Sfera gab’s an diesem Tag keine Disco, darum ging ich danach auf dem Heimweg in der Rock and Roll Music Bar vorbei. Da traf ich auf Martina (Italien), Elaina (USA) und Pablo (Spanien). Sie machen einen Russisch-Kurs in Petrozawodsk und sind für ein verlängertes Wochenende mit einem Mietauto hier hoch gefahren.

Mit Martina, Elaina und Pablo in der Rock and Roll Music Bar
Mit Martina, Elaina und Pablo in der Rock and Roll Music Bar

Wir unterhielten uns sehr gut und sie boten mir an, mich am nächsten Tag mit zur Barentssee mitzunehmen.

Mo. 18.08.2014
So verbrachten wir einen schönen Tag zusammen und gingen erst mal zur riesigen Soldatenstatue Aljoscha auf dem Hügel am Stadtrand. Unsere Fahrt an die Barentssee wurde an einer Schranke ohne Diskussion jäh gestoppt. Wir mussten umdrehen, weil die Barentssee nicht zugänglich ist: militärisches Gebiet, streng geheim und verboten! Zugegebenermaßen gibt es auch keine Straße direkt ans Meer. Nach einer abenteuerlichen Fahrt über verschiedene Baustellen, mussten die drei ihre Heimfahrt antreten. Ich ging wieder in die Rock and Roll Music Bar und lauschte mit wenigen anderen dem Halb-Playback-Gitarrenspieler, der sich mit Fields Of Gold verabschiedete. Abends versöhnte ich mich bei gutem Wetter mit der viel verregneten, grauen Industriestadt und konnte noch schöne Bilder vom Nachthimmel machen.

Abnehmender Mond
Abnehmender Mond
Murmansker Hafen um halb 1 nachts
Murmansker Hafen um halb 1 nachts

Di. 19.08.2014
Am bereits vorhergesagten Regentag legte ich einen Tag ohne Touri-Programm ein, erledigte einige Dinge, mischte mich unters Volk und ging abends zum dritten Mal in die Rock and Roll Music Bar, in der das Trio Чизкейк (Cheesecake) spielte.

Mi. 20.08.2014
Tags darauf verabschiedete ich mich bei 13 Grad und Regen von Murmansk und flog zurück in den russischen Sommer nach Moskau.

Kirowsk

Do. 14.08.2014
Auf dem Festland angekommen, nahm mich ein inoffizieller Taxifahrer gemeinsam mit einer reisenden Russin zum Bahnhof. Dort übte ich mich gemeinsam mit vielen anderen in russischer Geduld, denn mein Nachtzug kam erst in zwei Stunden. Beim Einsteigen und Vorzeigen meines Passes kam ich mit Maksim ins Gespräch, der eine Raucherpause einlegte. Er nahm mich in ein freies Abteil und seine Freunde Marina und Sergej setzten sich dazu. Als die junge, streng wirkende Schaffnerin und die Polizei dastanden und mit den dreien redete, war mir doch etwas mulmig. Es war wohl so: Die Polizei schaute vorbei, weil Marina so laut redete und viele Reisende schon schlafen wollten. Es wäre wohl jetzt ein Problem gewesen, wenn hier Alkohol getrunken worden wäre. Ich blieb in dieser Situation außen vor. Nichtsdestotrotz waren die drei sehr herzlich und freundschaftlich und fanden es spannend, einen fremden Reisenden zu treffen. Sie übersetzten mir noch, dass ich für 1000 Rubel (21 Euro) dieses Abteil für mich alleine zum Schlafen bekommen würde. Wer das Geld dann bekommen hätte und wie offiziell das war, entzieht sich meiner Kenntnis. Wir verabschiedeten uns und ich legte mich zum schnarchenden Paar in mein Abteil.

Fr. 15.08.2014
Am Bahnhof in Apatity angekommen, nahm mich ein freundlicher Taxifahrer mit goldenen Schneidezähnen nach Kirowsk. Auch bei ihm konnte ich punkten, weil ich Deutscher bin. Bei der Touristeninformation erklärte mir der dort Arbeitende, dass ich mich, wenn ich eine Wanderung machen möchte, bei der dortigen Bergrettung an- und abmelden solle, da in diesen harmlos wirkenden ca. 1200 Meter hohen Bergen schon viele Leute ums Leben kamen. Zudem schickte er mich ins neu eröffnete Hostel Snowpoint. Dort wurde ich freundlich aufgenommen und bekam Hilfe beim Ausfüllen des rein russischen Formulars. Bei der Bergrettung wurde mir zu dritt inklusive Google-Übersetzer geholfen, welchen Einstieg ich wählen kann und wo ich mich nach der Wanderung wieder rückmelden soll. Mit einem Minibus (Marschrutka) am See vorbeigefahren, kam ich am Fuße verschiedener Berge raus und suchte mir einen machbaren aus. Das Wetter war okay, aber es war noch leichter Regen wahrscheinlich. Wanderwege gibt es keine, den Weg sucht man sich selbst.

Auf dem Weg zum Gipfel
Auf dem Weg zum Gipfel

Es ist hier ein Wintersportort mit Schnee bis manchmal in den Juni, darum war jetzt erst die Erdbeerzeit, ich hatte selbst gepflückte leckere Erdbeeren vor dem Supermarkt erstanden. Oben auf dem Grat konnte ich die tolle Aussicht nicht lange genießen, denn der Himmel wurde im Westen immer dunkler.

Blick von oben
Blick von oben

Also fiel die Vesperpause aus und ich machte mich auf dem schnellsten Wege nach unten. Leider kam ich in den Regen, der kurz vor Ende des Abstiegs so stark war, dass ich durch und durch nass war. Zudem war mein gewählter Abstieg steiler als gedacht und die Steine waren jetzt glitschig, weswegen ich mich sehr konzentrieren musste. Unten angekommen hörte der Regen auf und ich rief die Dame von der Bergrettung an. Zum Glück erwischte ich schnell einen Bus in den Ort. In der Dusche konnte ich meine Unterhose auswringen wie eine nasse Badehose. Dennoch hatte sich meine Funktions-Kleidung bewährt, alles war am nächsten Tag wieder trocken. In der Nacht ging ich in die dortige Disco und tanzte unter Einheimischen meine Schuhe trocken. Als ich um halb 3 heim ging, war der Himmel im Norden hell, so ganz dunkel wurde es hier nicht. Herrlich.

Blick Richtung Norden um halb 3 nachts
Blick Richtung Norden um halb 3 nachts

Sa. 16.08.2014
Wegen Regens ging ich erst nachmittags an den nahe gelegenen, aber schwer zugänglichen See. Ich ging an sowjetischen Bausünden, Bahngleisen und offenen Wasserleitungen vorbei. Auch zwei Hunde sorgten dafür, dass ich einen größeren Bogen machen musste.

Am See bei Kirowsk
Am See bei Kirowsk

Hier in der Nähe wird apatithaltiges Gestein abgebaut, auf den Schienen hertransportiert und dort, wo die Hunde waren, weiterverarbeitet. Weil es wieder regnete und mir eine Nachtzugfahrt bevorstand, gönnte ich mir abschließend ein Essen in einem Hotel-Restaurant. Das wechselhafre Wetter hatte aber auch etwas Gutes: Ich konnte einen fast kompletten Regenbogen bewundern.

Regenbogen
Regenbogen

Mit einer Marschrutka und zu Fuß schlug ich mich zum 25 km entfernten Bahnhof durch und sparte Taxikosten, dafür musste ich nur viel Zeit mitbringen. Dieses Mal war die Zugfahrt unspektakulär: Ich hatte einen Liegewagen für mich alleine, aber leider war ich schon um 5 Uhr in Murmansk angekommen und die Nacht war beendet.

Solowetski-Inseln

Mo. 11.08.2014
Nun musste ich irgendwie ein Schiff zu den Solowetski-Inseln im Weißen Meer bekommen. Im Bus zur Anlegestelle lernte ich Jurij aus Moskau kennen. Er wird zwei Wochen im dortigen Kloster verbringen, um aus dem hektischen Stadtleben auszubrechen. Außerdem half er mir beim Kauf des Tickets für die zweistündige Schiffsfahrt.

Auf den Inseln bekam ich kein günstiges Bett mehr, weil dort in den nächsten Tagen ein Musikfestival für Liedermacher stattfindet und die Insel inklusive Campingplatz gut ausgebucht ist. Einen Platz auf dem Campingplatz lehnte ich ab. Mal sehen, wie das aussieht, wenn der Geldbeutel auf den Reisen nach und nach dünner wird. Bei bedecktem Himmel schaute ich mir das Dorf an. Es liegt idyllisch, umgeben von Wasser und hier scheinen die Uhren langsamer zu gehen, sehr erholsam.

Auf der Hauptinsel
Auf der Hauptinsel

Zu Sowjet-Zeiten war hier ein brutal geführtes Straflager (Gulag), zum Glück ist das Vergangenheit und es steht heute wieder das Kloster im Vordergrund.

Kloster
Kloster

Am Abend war ein Konzert mit Auftritten verschiedener Liedermacher. Verstanden habe ich nichts, aber es waren schöne Melodien dabei.

Mein liebster Musiker beim Konzert
Mein liebster Musiker beim Konzert

Der letzte Künstler bekam einen Zettel zugeschoben und sang daraufhin für eine Frau im Publikum ein Lied. Das hatte wohl ihr Freund eingefädelt, der neben ihr saß und liebevoll von ihr gehalten wurde.

Di. 12.08.2014
Mit Internet für Reisende läuft hier eher nichts. Zwei Hotels bieten WLan an, aber nur gegen Bezahlung und beim ersten hat’s spärlich bis gar nicht funktioniert. Also konnte ich mich ganz der Erholung und Erkundung auf der Hauptinsel (24×16 km, 900 Einwohner) widmen. Im schönen Hotel-Holzbau verbrachte ich fast zu viel Zeit, aber so hielt ich meinen Blog, wenn auch noch nicht online, auf dem neuesten Stand. Am späten Abend hatte ich den Campingplatz im Visier und wollte mich dort mit ans Lagerfeuer setzen. Es gab mehrere, aber am größten wurde mit zwei Gitarren und einer Geige musiziert. So setzte ich mich wie viele andere dazu und genoss das Lagerfeuer und die Musik.

Live-Musik am Lagerfeuer
Live-Musik am Lagerfeuer

Im Norden war der Horizont leicht hell und im Süden schien der (Fast-)Vollmond. Die besten Dinge im Leben gibt es umsonst. Eine Mitzuhörerin fand’s ganz toll, dass ich aus Deutschland komme und verabschiedete mich ganz freundlich, als sie ging. Auch ich ging um Viertel nach zwei, als bereits eine zweite Combo spielte.

Mi. 13.08.2014
Tags darauf erkundete ich mit dem gemieteten Mountainbike die nördliche Umgebung und fuhr an schönen Seen vorbei bis zum immerhin 78 Meter hohen Sekirnaja-Hügel, auf dem die Auferstehungskirche stand und von dem man aufs Savvatjewski-Kloster bicken konnte, über das ich heimradelte.

Auf dem Sekirnaja-Hügel
Auf dem Sekirnaja-Hügel

Am Abend wurde das Wetter immer besser und so schaute ich mir über eine Stunde lang an, wie die Sonne hinter dem Weißen Meer unterging und wunderschöne Farben am Himmel hinterließ.

Sonnenuntergang
Sonnenuntergang

Do. 14.08.2014
Am letzten Tag auf den Inseln war das Wetter am schönsten, also auch nicht schlimm, dass ich schon um 10 Uhr mein Zimmer räumen musste. Nach dem üppigen Frühstück in der Unterkunft ging ich Richtung Süden zu den Stein-Labyrinthen, die teils 4000 Jahre alte Überbleibsel in Nordskandinavien und Nordwestrussland sind. Dort badeten zwei ältere Paare im kalten Meer.

Am Weißen Meer
Am Weißen Meer

Ich ging etwas weiter und legte mich auf einer Wiese am Ufer in die Sonne. Danach ging auch ich ins kalte Wasser – bis zum Knöchel. Mangels Bargeld konnte ich mich auf meine bevorstehende nächste Nachtzugfahrt nur bedingt ausrüsten. So verabschiedete ich mich auf dem Schiff – umgeben von Möven – von den Solowetski-Inseln.

Abschied von den Solowetski-Inseln
Abschied von den Solowetski-Inseln

Zugfahrt in den Norden

Nach langem Hin und Her und vielen Wettervorhersagen beschloss ich, in mehreren Etappen bis nördlich des Polarkreises nach Murmansk zu fahren. Im Nachtzug nach Kem‘ lernte ich Gennadij (kurz: Gena) und Jurij kennen. Sie fuhren die kompletten 26 Stunden zurück in ihre Heimatstadt Murmansk und waren essens- und trinktechnisch deutlich besser ausgerüstet als ich: Sie hatten einfach alles dabei, was man so in einem Haushalt hat. Da konnte ich mit meinen Äpfeln, Bananen, Keksen, Wasser und Mini-Croissants nicht mithalten. Sie boten mir Brot mit Streichkäse, Wurst und selbstverständlich Wodka an.

Mit Gena und Jurij im Zugabteil
Mit Gena und Jurij im Zugabteil

Gena sprach kein Englisch oder Deutsch, meinte aber irgend etwas wie „zu einem Wodka gehört ein zweiter und der dritte ist zum Verteilen im Magen“. Beim Reden übers Trinken schlug er mit dem rechten Handrücken leicht ans linke Unterkinn. Am Ende teilten die beiden die ganze (ihre vermutlich einzige) Flasche mit mir. Dabei achteten sie darauf, dass mein Wasser keine Kohlensäure beinhaltete, denn das sei in Kombination mit dem Wodka nicht gut. Es war etwas beschämend, denn ich hatte nichts Brauchbares zurückzugeben. Aber das war den beiden auch nicht wichtig. Da habe ich doch gleich mal die viel besagte russische Gastfreundschaft erfahren und für die nächste Zugfahrt werde ich mich dann besser rüsten. Wir haben uns trotz aller Sprachprobleme mit Wörterbuch glänzend unterhalten und gelacht. Jurij konnte etwas Englisch und auch ein bisschen Deutsch, er war schon in Hamburg und Bremen und ist dort Straßenbahn gefahren. Auch jetzt sind die beiden noch Fahrer, in Murmansk. Außer meinem Taschenmesser hatte ich kein Geschirr oder Besteck dabei. Auch das wäre nötig gewesen: In russischen Zügen kann man sich kochendes Wasser nehmen und damit immerhin warme Fertiggerichte und vor allem Tee oder Nescafe machen. Es war den beiden wichtig, dass ich jetzt auf die Nacht noch einen Tee trinke, also besorgte Gena mir ein Teeglas im Metallbehältnis von der Russischen Bahn RZD. Erst eine knappe Stunde vor meiner Ankunft standen wir auf und das wichtigste für die beiden war, dass ich noch mit ihnen frühstücke und einen Tee trinke. Zum Abschied schenkte Jurij mir auch noch ein Tütchen Haselnüsse. Also ich glaube, dass ich mir hier in Russland keine Sorgen machen muss, dass ich irgendwo zu wenig zum Essen oder zum Trinken bekommen werde.

 

Sankt Petersburg

Di. 05.08.2014
In Sankt Petersburg hat die Ankunft im Mir Hostel tadellos geklappt, so konnte ich noch den Abend genießen. Auf dem Weg zur Ermitage und dem Fluss Newa hörte ich jemanden auf dem Palastplatz das Lied „Zombie“ singen. Das Publikum saß im weiten Rund um den Sänger und sang insbesondere bei den russischen Liedern mit. Neben der Ermitage spielte eine Band russische Rock-Lieder. Hier wurde erst recht mitgesungen und getanzt – bis halb 3, und das an einem Dienstag! Auf diese Art und Weise sollte es in den nächsten Tagen weitergehen.

Neva und Ermitage
Der Fluss Newa und die Ermitage

Mi. 06.08.2014
Dank Agathes Kontakten zu den MUNOG-Gastlehrerinnen Svetlana und Galina, habe ich die beiden und ihre ehemalige Schülerin Julia getroffen. Trotz vieler eigener Verpflichtungen verbrachten sie den ganzen Tag mit mir. So bekam ich, ohne mich selbst darum kümmern zu müssen, die schönsten Ecken der Altstadt zu sehen.

Kanalrundfahrt mit Svetlana, Julia und Galina
Kanalrundfahrt mit Svetlana, Julia und Galina

Zudem durfte ich im russischen Schnellrestaurant und Café die wichtigsten russischen Gerichte und Süßspeisen kennen lernen und probieren. Außerdem besorgte Svetlana mir ein Ballett-Ticket für Schwanensee am Tag darauf. Dann nahmen sie mich auf die Kuppel der Isaaks-Kathedrale, von der aus wir einen atemberaubenden Blick über die Stadt hatten.

Blick von der Isaaks-Kathedrale
Blick von der Isaaks-Kathedrale

Als wenn das nicht schon genug gewesen wäre, fuhr uns Galinas Freundin Jana mit ihrem Auto durch die Stadt, damit ich so viel wie möglich schöne Dinge noch zu sehen bekam: die Palast-Brücke, die Rostra-Säulen, die Börse, die Peter-und-Paul-Festung, ein Miniatur-Park (zum Wiederholen der gerade kennen gelernten Sehenswürdigkeiten), den Kreuzer Aurora (das Kriegsschiff der ehemaligen Kaiserlichen Russischen Marine Anfang des 20. Jahrhunderts), den Sommergarten und das Marsfeld.

Ehemaliges Kriegsschiff Aurora
Der Kreuzer Aurora

Nach einem längeren Schläfchen ging ich abends wie tags zuvor zur Live-Musik an die bekannten Orte. Dieses Mal war auf dem Palastplatz eine ganze Combo, wobei einer ab und zu tanzte und immer wieder Mädchen zum Mittanzen aufforderte. Dadurch war die Stimmung beonders gut. Ein Mädchen der Combo sang „Bring Me To Life“ von Evanescence, da hat nicht mehr viel zu „My Immortal“ gefehlt.

Musik auf dem Schlossplatz
Live-Musik auf dem Palastplatz

Neben der Ermitage war wieder die gleiche Band wie am vorigen Tag, nur ging’s dieses Mal sogar bis halb 4!

Musik neben der Ermitage bei geöffneter Brücke
Live-Musik neben der Ermitage bei geöffneter Schlossbrücke

Do. 07.08.2014
Nach Ausschlafen und Organisatorischem, u.a. habe ich auf der russischen Bahn-Seite erfolgreich ein Zugticket gebucht und endlich die offizielle Einladung nach Xinjiang bekommen, ging’s abends im möglichst schicken Outfit zu Tschaikowskis Schwanensee: ein sehr schönes Theater und eine herrliche Aufführung!

Michajlowskij-Theater
Michailowski-Theater

Es fühlte sich an wie eine Nachmittagsaufführung, weil es um halb 11 noch hell war und die Nacht noch bevorstand.

Schwanensee-Plakat
Schwanensee-Plakat

Also noch schnell ein schönes Bild gemacht und später ab zur Live-Musik.

ffffff
Gribojedow-Kanal und Auferstehungskirche

Fr. 08.08.2014
Am nächsten Tag hatte Svetlana mir einen Tag mit ihrer ehemaligen Schülerin Ksenia und deren Mutter Natalia organisiert. Die beiden fuhren mich nach Peterhof und haben sich dort als glänzende Touristenführerinnen gezeigt: Sie haben mir sehr viel dazu erzählt und immer gewusst, wie man wo schneller und billiger hinkommen kann.

Mit Natalia und Ksenia beim Peterhof
Mit Natalia und Ksenia vor dem Schloss Peterhof

An Oranienbaum vorbei fuhren wir zur Insel Kotlin mit der Stadt Kronstadt. Herrlich war schon der Weg dorthin und das Ufer mit Blick auf Sankt Petersburg sowie der seit 2013 vollständig wiederhergestellte Marine-Dom erst recht.

Marine-Dom in Kronstadt
Marine-Dom in Kronstadt

Auf der Rückfahrt haben wir uns gefragt, ob ich mich nach der einjährigen Reise noch an diesen Tag erinnern kann. Ich hoffe doch und denke, ja.

Sa. 09.08.2014
Ich war doch sehr erschöpft von den letzten Wochen und gönnte mir einen ruhigeren Tag: Ausschlafen, schneller knapp zweistündiger Ermitage-Besuch und Peter-und-Paul-Festung. Dort legte ich mich zu anderen in die Sonne, weil es immer noch sehr heiß war. Im Central Street Hostel (Wechsel, da ein Tag verlängert) traf ich Ksenia und Lena aus Moskau, die für zwei Tage nach Sankt Petersburg gekommen waren. Wir trafen uns später auf ein Bier wieder. Da sie vorher sagten, dass sie noch zwei Freunde dabei hätten, nahm ich vorsichtshalber etwas Bargeld aus meinem Geldbeutel heraus. Dies stellte sich später als lächerlich heraus, da auch Angelika und Denis sehr freundlich und interessiert waren. Sie sagten, dass Deutschland verdient Weltmeister geworden ist. Angelina schüttelte aufgrund des 7:1 gegen Brasilien ungläubig den Kopf wie wir damals beim Fußball schauen. Außerdem wurde ich vor allem von Lena sehr um meine Weltreise beneidet und ich hätte die Deutschland-Karte zur Hand haben sollen, denn sie interessierten sich für deutsche Städte. Denis erzählte, dass ich mir in Russland keine Sorgen machen müsse, alleine schwimmen zu gehen und die Wertsachen liegen zu lassen, da müsse man in Spanien oder Italien aufpassen. Und in Zentralasien beginne für mich eine neue Welt: da werde gehandelt und gefeilscht und ich solle da mitmachen, weil die Leute das so gerne mögen. Erst werde über den Preis geredet, dann über das Wetter, die Familie und Politik, und irgendwann komme man wieder zum Verhandeln auf niedrigerem Preisniveau. Gemeinsam sahen wir uns noch die Öffnung der Palast-Brücke an und gingen in eine Disco.

Mit Ksenia (oben), Denis, Angelika und Lena beim Bier trinken
Mit Ksenia (oben), Denis, Angelika und Lena beim Bier trinken

So. 10.08.2014
Tags darauf frühstückten wir abschließend gemeinsam. Ich traf mich nochmal mit Ksenia und Natalia. Ihr Angebot, mir den Katharinen-Palast mit dem Bernsteinzimmer zu zeigen, konnte ich nicht ablehnen. Natalia stellte sich für uns in die Warteschlange und Ksenia ging mit mir durch den Park. Solch ein Service wurde mir geboten! Der Palast ist herrlich und das Bernsteinzimmer beeindruckend. Schön, dass ich das noch sehen durfte.

Mit Ksenia und Natalia vor dem Katharinen-Palast
Mit Ksenia und Natalia vor dem Katharinen-Palast
Erster Eintrag ins Notizbuch
Erster Eintrag ins Notizbuch

Zum Abschied sagte Natalia, dass ich jetzt, wo ich raus aus der Stadt fahre, das wahre Russland kennen lernen werde. Genau darauf bin ich gespannt.