Jekaterinburg

Do. 28.08.2014

Nachtzugticket von Kazan nach Jekaterinburg
Nachtzugticket von Kazan nach Jekaterinburg

Ich kam um 8 Uhr Ortszeit in Jekaterinburg an, als die Hochhäuser noch im Nebel steckten. Nun war ich also in Asien. Im Red Star Hostel erkannte mich Svetlana an meinem Pass als Deutscher und sprach mich auf deutsch an. Sie hat ihr Ethnologie-Studium in Orenburg mit Auslandssemester in Heidelberg abgeschlossen und beantragt nun ein Studentenvisum für Deutschland, um in Heidelberg weiter zu studieren. Sie bat mich, ihr einseitiges Motivationsschreiben an ihrem Laptop Korrektur zu lesen, musste dann gleich los zum Konsulat und wieder nach Hause. Da ich mein Bett schon beziehen durfte, holte ich etwas Schlaf nach und streunerte erst am Nachmittag ohne Touri-Plan durch die Innenstadt.

Blick in Richtung Stadtteich
Blick vom Isetskijpark in Richtung Stadtsee und Kathedrale auf dem Blut
Skater vor dem Monument der Stadtgründer
Skater vor dem Monument der Stadtgründer

Abends hörte ich über mein Tablet, was das deutsche politische Kabarett so macht.

Fr. 29.08.2014
Am Tag darauf fuhr ich mit dem Regionalzug 40 km Richtung Westen zurück zur europäisch-asiatischen Grenze. Ich stieg gezielt irgendwo im Nichts aus und schlug mich 1500 Meter durch den nassen und sumpfigen Wald, um zum gewünschten Denkmal zu kommen. Die auf Google Maps schwach zu erkennende Schneise war gar nicht so leicht zu finden und mangels Sonne sowie immer dichter werdendem Wald konnte ich mich nicht sonderlich gut orientieren. Irgendwann befand ich mich auf dem richtigen breiten Pfad und musste am Schluss nur noch um die Abzäunung eines im Bau befindlichen Hauses und da war ich am Denkmal, mit dreckigen Schuhen und nassen Hosebeinen.

Links Europa - rechts Asien
Links Europa – rechts Asien

Für den Weg zurück zum Regionalzug nahm ich auf der Hauptstraße einen Bus in die Stadt Perwouralsk und bekam dadurch das dortige Denkmal der Gefallenen im Zweiten Weltkrieg zu sehen. Wieder im Hostel traf ich Detlev, 62, aus Berlin, der mit mir noch um die Ecke ins Pub Ben Hall ging. Wir sahen nur noch die letzten zwei Lieder der Live-Band dort, danach war Disco und plötzlich wollte Detlev tanzen. Er war vor mir auf der Tanzfläche und tanzte dazu wie ein Junger.

Sa. 30.08.2014
Bei wechselhaftem und sehr windigem Wetter schaute ich mir zunächst das Boris-Jelzin-Denkmal in der gleichnamigen Straße an. Jelzin ist hier aufgewachsen, hat hier studiert und zu seinen Anfangszeiten politisch gewirkt. Auch wenn seine Amtszeit bei den Russen eher negativ gesehen wird, wird hier in seiner Heimatstadt gerade an einem Jelzin-Zentrum gebaut, ich stand also auf einer großen Baustelle. Weiter ging’s am Stadtsee entlang zur Kathedrale auf dem Blut, die 2003 eingeweiht wurde.

Vor dem Stadtsee und der Kathedrale auf dem Blut
Vor dem Stadtsee und der Kathedrale auf dem Blut

Hier stand bis zum von Jelzin (damals Parteichef der Region) angeordneten Abriss 1977 das Ipatjew-Haus, in dem die Bolschewisten 1918 die russische Zarenfamilie ermordeten. Außerhalb der Kathedrale sind Bilder von der Familie um Zar Nikolaus II. und auch ein Denkmal.

Kathedrale auf dem Blut
Kathedrale auf dem Blut

Das Gelände ist anscheinend ein Wallfahrtsort für Anhänger der Monarchie, wovon ich an diesem späten Samstag Nachmittag nichts mitbekommen habe. Dafür ging ich in die Kathedrale und wohnte dem dortigen Gottesdienst bei, als zwei Priester mit Weihrauchfass um die Gemeinde gingen. Ich bekreuzigte mich mehrfach wie die anderen Gläubigen (etwas großflächiger als gewohnt) und nahm den Segen gerne mit. Durchs Grüne, an einer Beatles- und Graffitiwand sowie einem Computer-Tastatur-Denkmal vorbei ging ich zum Hostel. Das Wetter wurde immer besser und der Wind legte sich, also konnte ich den auf dem Rückweg gefundenen Weg bis zum Stadtsee und zurück entlangjoggen. Ich fühlte mich fast schon etwas heimisch. Spät abends ging ich noch in die nah gelegene Disco Podzemka, wo auf Bildschirmen ein Bericht über den derzeitigen deutschen Fußball kam und ich nochmal sehen konnte, wie der WM-Pokal in den Händen der deutschen Spieler war. Zum Tanzen war mir nicht zumute, ich hatte ja schon Sport gemacht.

So. 31.08.2014
Es war mal wieder genug Wäsche zum Waschen und am Nachmittag skypte ich mit meinen Eltern, die sehen konnten, dass es mir gut ging. Leider ist die Post aus Moskau noch nicht da, es wird also noch ein heißer Tanz mit den Visa für China und Myanmar. Den Rest des Nachmittags fuhr ich an den Stadtrand zum schön gelegenen Schartaschsee. Hier gönnen sich die Stadtbewohner die Ruhe im Sommer, der sich hier doch sichtlich dem Ende entgegen neigte.

Schartaschsee
Schartaschsee

Leider regnete es zwischendurch immer wieder, was die Einheimischen, z.B. zwei Mädchen in Jogging-Klamotten und durchnässten Kapuzenpullis, nicht arg störte. Auf dem Heimweg ging ich durchs riesige und moderne Einkaufszentrum Grinwitsch. Im dortigen Supermarkt waren die Waren akribisch genau eingeordnet, es arbeiteten auch genug Menschen hier. Zudem gab es einfach alles zu kaufen, auch jegliche Ware aus dem westlichen Ausland. Von den Sanktionen habe ich hier nichts bemerkt. Abends schrieb ich meinen Blog und stöberte durch die russische Geschichte.

Mo. 01.09.2014
An meinem letzten vollen Tag in Russland kümmerte ich mich zunächst um die Weiterreise und beschloss, dass ich für Usbekistan doch reichlich Dollar zum Wechseln besorgen sollte. Also wechselte ich Rubel in Dollar um und hob an einem Raiffeisenbank-Geldautomaten direkt Dollars ab. Auch wenn vieles beschwerlicher ist als in Deutschland, aber das ging einfacher, mal abgesehen vom Dollar-Geldgeschenk der Mathe/Physik-Fachschaft. Es war noch Zeit für die Aussichtsplattform im 52. Stockwerk des Hochhauses namens Wysotskij, von der aus ich bei windigem und kühlen, aber sonnigem Wetter wunderbar in alle Richtungen sehen konnte, insbesondere über die Stadtseen bis zum Ural.

Blick über die Stadt bis zum Ural
Blick über die Stadt bis zum Ural

Wieder unten, ging ich durch einem Park, in dem viele Schüler das Wiedersehen am ersten Schultag mit Alkohol begossen.

Erster Schultag
Erster Schultag

Zuletzt wollte ich noch zum Oberen Isetskijsee am westlichen Stadtrand. Dies gelang mir auch, aber keine der beiden Halbinseln im See schienen zugänglich zu sein. Die vielen Absperrungen aufgrund von Privatbesitz, Hotel, Baustelle oder Ähnlichem waren sehr frustrierend, aber irgendwann musste ich aufgeben. Dennoch war es am Seeufer neben Anglern und mit dem Ural-Gebirge im Hintergrund sehr schön.

Der Werch-xx-See und das Ural-Gebirge im Hintergrund
Der Obere Isetskijsee und das Ural-Gebirge im Hintergrund

Zum Abendessen ging ich wie an vielen Tagen zum russischen Buffet-Restaurant namens „Wilka Loschka“ (auf deutsch: Gabel Löffel). Hier gab’s zum Beispiel Buchweizen, Gemüse und bereits in kleine Stücke geschnittene Melonen. Schön, wenn man gesundes Essen nicht mühevoll selber machen muss.

Di. 02.09.2014
Nun hieß es also Abschied nehmen von Russland. Meinen zeitlichen Puffer brauchte ich auf, weil die Marschrutka an meiner Haltestelle nach fast 30 Minuten Wartezeit vorbeifuhr und ich am Ende nochmal im Hostel nach einem Taxi fragen musste. In leichter Panik, was denn wäre, wenn das mit dem russischen Ausreisedatum nicht klappen würde, wartete ich sehnsüchtig auf mein Taxi. Es kam ein Minibus für mich alleine und ich war am Ende doch 90 Minuten vor dem Abflug am sehr entspannten Flughafen. Do swidanje, Rossija.

3 Gedanken zu „Jekaterinburg“

  1. Da kehrt man nach ein paar Tagen aus ziemlich heimatnahen Gefilden nach Hause zurück und befindest du dich schon am Rande Europas im geheimnisumwitterteren Jekaterinenburg! Schön, wie du uns an der Unternehmung teilhaben lässt.
    Was bekommst du von der aktuellen politischen Lage in und um Russland mit? (Vielleicht hätte ich erst einmal deine Moskau- und Kasanberichte lesen sollen, bevor ich diese Frage stelle

  2. Bin gespannt, was du über Relikte von der Beendung der Zarenherrschaft in Jekaterinburg berichten wirst. Gibt es da vielleicht so etwas wie einen neuerstandenen Zarenkult? Würde in Zeiten der Wiedererstarkung von slawophilem Ideengut ja Sinn machen.

  3. Oifach guet, dei Blog! Was du alles fr Leit triffsch! I wart bloß no, bis dr dr erschde Böblengr über de Weg laoft. I schreib em schwäbische Kood, no könnet’s dia Loaser et so guet verstaoh. Bleib xond. No an Rot: emmer a baar Rubel Kloigeld loggr en dr Dasch han, so musch fr d‘ Hongerleidr net dei Sacktuech uffbenda…

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