Kazan

Mo. 25.08.2014
Bei Sonnenschein kam ich am frühen Morgen in Kazan 800 km östlich von Moskau an. Kazan ist die Hauptstadt der Republik Tatarstan innerhalb Russlands. Beim Stichwort Tataren zuckt man vielleicht zuerst zusammen, aber hier leben die muslimischen Tataren und orthodoxen Russen friedlich neben- und miteinander. Das Erscheinungsbild der Menschen ist somit auch gemischter: Es gibt mehr Menschen mit dunkelbraunen Augen und die ganz religiösen Tatarinnen tragen Kopftücher. Bei Männern sieht man vermehrt die traditionelle Kopfbedeckung Tubeteika. Im Hostel konnte ich erst am Nachmittag einchecken, also ging ich an den Kabansee in der Stadt und in den Jahrtausendpark, wo ich umgeben von Kindern (begleitet von ihren Müttern oder Großeltern) an meinem Blog weiterschrieb.

Kazan
Blick über den Kabansee in Richtung Tatarensiedlung

Im kleinen 5-Bett-Zimmer mit außergewöhnlich guten Matratzen traf ich Slawo aus Nowosibirsk, endlich einen groberen Klotz, so wie man sich einen Russen in Deutschland vorstellt. Auch ein Chinese aus Xi’an war im Zimmer. Beide sprachen keine Fremdsprachen. Aber Slawo hatte auf seinem Tablet eine App, die die Sprache direkt übersetzte, also z.B. auch vom Chinesischen ins Russische, was nicht immer perfekt funktionierte. Slawo meinte über die Übersetzer-Stimme: „Sie hat Kopfschmerzen.“ Wir lachten gemeinsam und das Eis war doch etwas gebrochen. Leider war für den nächsten Tag Regen angesagt, also mietete ich mir ein Fahrrad, um schnell viel von der Stadt zu sehen. Radwege gibt’s keine in der Stadt, also fährt man in der Autospur oder schlängelt sich durch die noch holprigeren Fußgängerwege. Ich sah mir zuerst den Hafen an der Wolga an, wo man leider nur als Passagier richtig rankommt.

Am Hafen an der Wolga
Am Hafen an der Wolga

Hier in Kazan fließt der Fluss Kazanka in die Wolga. Die Kazanka ist zu Füßen des Kazaner Kreml und dort oben stehen eine orthodoxe Kirche und eine Moschee nebeneinander, sehr beeindruckend.

Vor dem Kazaner Kreml
Brücke über die Kazanka und der Kazaner Kreml

Von meinen in Moskau für die Nachtzugfahrt eingekauften Lenensmitteln konnte ich noch am Abend zehren. Ich hatte also alles richtig gemacht und auf russische üppige Art eingekauft.

Di. 26.08.2014
Am Regentag traf ich Davide, der in Sachsenheim aufgewachsen ist, und Freddy aus Chile. Davide will in Richtung Kaukasus weiterreisen und Freddy hat in London Geld verdient und möchte 18 Monate reisen. Meine einzige Aufgabe war es, mein Nachtzugticket nach Jekaterinburg zu besorgen. Über die Russische Bahn konnte ich nicht mehr online per Kreditkarte zahlen, warum weiß ich nicht. (Nach meinem Kontakt zur DKB konnte ich in Kazan glücklicherweise wieder Bargeld abheben.) Also durfte ich das Suchen des richtigen Bahnkartenschalters, Anstehen in der Schlange und Kommunizieren auf russisch wenigstens einmal erleben. Mit dem richtigen Ticket in der Hand war der Tag somit sinnvoll gefüllt. Abends traf ich mich mit Davide und Sascha, der ursprünglich aus dem nördlichen Sibirien kommt, in der Hostelküche. Da Sascha nur russisch sprach, war es ein glücklicher Zufall, dass später Jenny und Micky aus Hamburg als Dolmetscherinnen dazu kamen. Sie warteten auf die Abfahrt ihres Nachtzuges an den Baikalsee. Als wir auf deutsche Musik (Sascha kannte Rammstein und Lena Meyer-Landrut) zu sprechen kamen, waren wir auch schnell bei Helene Fischer und schauten auf Saschas Smartphone an, wie sie als Russlanddeutsche das russische Volkslied Katjuscha singt.

Micky, Jenny, Sascha und Davide hören Helene Fischer
Micky, Jenny, Sascha und Davide hören Helene Fischer

Sonst unterhielten wir uns aber ohne Handy, und das sehr gut.

Mit Sascha, Micky und Jenny kurz vor dem Abschied
Mit Sascha, Micky und Jenny kurz vor dem Abschied

Di. 26.08.2014
Am nächsten Morgen verlotterte ich etwas die Zeit und da es mir auch etwas übel war, fiel die Fahrt außerhalb der Stadt zum Tempel aller Religionen leider aus. Mein Zug fuhr schon vor 4, also ging ich mit Davide, Freddy und dem Kazaner Couchsurfer Roman, den Davide angeschrieben hatte, Richtung Stadtzentrum. Roman wohnt in einer eigenen Wohnung, was in Russland als Single eher ungewohnt ist, seine Familie ist eher reich. Er hatte einen Händedruck, dass es einem die Hand zerbröselte und war sehr bestimmend. Im kurzen Gespräch mit ihm konnte ich dennoch mehr über die russische Mentalität erfahren: Familie, Autos usw. Auf meinem Weg zum Bahnhof hatte ich noch etwas Zeit, somit setzte ich mich in einen Park und hörte Musik. Es setzten sich drei Jungs etwas jünger als ich neben mich auf die Bank. Später kamen wir ins Gespräch, soweit das mein Russisch zuließ. Als wir uns mit Namen vorgestellt hatten und ich zusammenpackte, setzte einer noch den Dackelblick auf und wollte Geld, zuerst sagte er für Essen und dann mit einem Augenzwinkern „für bayerisches Bier“ (kann man in Russland tatsächlich kaufen). Das war schon sehr lustig, aber ich blieb meinem Grundsatz treu, in so einer Situation den Geldbeutel nicht herauszuholen. Auch musste ich es aushalten, dass die anfänglich gute Atmosphäre dadurch dahin war. Rückblickend betrachtet waren das Jungs, die nicht gerade als große Gewinner in Putins Russland dastehen: höchstwahrscheinlich kein Job, keine Frau (mehr) und dem Geruch nach ein Alkoholproblem. Aber auch sie hatten diese russische herzliche Art. Zuletzt ging ich noch über den dortigen Zentralen Marktplatz, wo es alles in großen Mengen zu kaufen gab: Obst, Gemüse, Gewürze, Trockenfrüchte, aber auch Kleidung, Schmuck oder Elektronik. Man merkte den tatarischen Einfluss. Im Zugabteil war eine Frau mit einem sechsjährigen Kind und später kam ein älterer Herr dazu, der viel mit mir sprach, auch wenn ich trotz Wörterbuch nicht immer alles verstanden habe. Beim Essen konnte ich doch tatsächlich mal punkten, weil ich meine Teebeutel schneller zur Hand hatte. Er nahm ihn dankend an, um es mir anschließend im Doppelten und Dreifachen wieder zurückzugeben: ich bekam ein mit Reis und Rosinen gefülltes süßes Brötchen. Ich verbuche es dennoch als großen Erfolg, wir haben geteilt und getauscht.

Ein Gedanke zu „Kazan“

  1. Hallo Berthold,

    habe heute frei und dachte, ich reise mal mit Dir wieder etwas durch die Welt. Vielen Dank für Deine klasse Texte. Ich habe grade mal ein bißchen gegoogelt: Kazan (schön auch der Tempel aller Religionen), Teddy Bear Hotel usw. Dein Plan für China ist ja auch erstaunlich. Viel Spaß dabei!!
    Hier ist das Wetter eher herbstig und immer wieder nass. Ich hoffe, das ändert sich die nächste Woche. Da wollen Doro, Katrin, Otmar und ich vier Tage wandern gehen. Von Hütte zu Hütte im Tannheimer Tal (natürlich oben auf den Bergen :-)). Wenn das so weiter geht können wir vielleicht dann auch die Unterwäsche in der Dusche auswringen. Obwohl ich bin ja Opitmist und das Wetter ändert sich ja an Vollmond immer – sagt man. Der wäre am Di 2.9…. Weiterhin gute Reise!
    Sandra

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