Zugfahrt in den Norden

Nach langem Hin und Her und vielen Wettervorhersagen beschloss ich, in mehreren Etappen bis nördlich des Polarkreises nach Murmansk zu fahren. Im Nachtzug nach Kem‘ lernte ich Gennadij (kurz: Gena) und Jurij kennen. Sie fuhren die kompletten 26 Stunden zurück in ihre Heimatstadt Murmansk und waren essens- und trinktechnisch deutlich besser ausgerüstet als ich: Sie hatten einfach alles dabei, was man so in einem Haushalt hat. Da konnte ich mit meinen Äpfeln, Bananen, Keksen, Wasser und Mini-Croissants nicht mithalten. Sie boten mir Brot mit Streichkäse, Wurst und selbstverständlich Wodka an.

Mit Gena und Jurij im Zugabteil
Mit Gena und Jurij im Zugabteil

Gena sprach kein Englisch oder Deutsch, meinte aber irgend etwas wie „zu einem Wodka gehört ein zweiter und der dritte ist zum Verteilen im Magen“. Beim Reden übers Trinken schlug er mit dem rechten Handrücken leicht ans linke Unterkinn. Am Ende teilten die beiden die ganze (ihre vermutlich einzige) Flasche mit mir. Dabei achteten sie darauf, dass mein Wasser keine Kohlensäure beinhaltete, denn das sei in Kombination mit dem Wodka nicht gut. Es war etwas beschämend, denn ich hatte nichts Brauchbares zurückzugeben. Aber das war den beiden auch nicht wichtig. Da habe ich doch gleich mal die viel besagte russische Gastfreundschaft erfahren und für die nächste Zugfahrt werde ich mich dann besser rüsten. Wir haben uns trotz aller Sprachprobleme mit Wörterbuch glänzend unterhalten und gelacht. Jurij konnte etwas Englisch und auch ein bisschen Deutsch, er war schon in Hamburg und Bremen und ist dort Straßenbahn gefahren. Auch jetzt sind die beiden noch Fahrer, in Murmansk. Außer meinem Taschenmesser hatte ich kein Geschirr oder Besteck dabei. Auch das wäre nötig gewesen: In russischen Zügen kann man sich kochendes Wasser nehmen und damit immerhin warme Fertiggerichte und vor allem Tee oder Nescafe machen. Es war den beiden wichtig, dass ich jetzt auf die Nacht noch einen Tee trinke, also besorgte Gena mir ein Teeglas im Metallbehältnis von der Russischen Bahn RZD. Erst eine knappe Stunde vor meiner Ankunft standen wir auf und das wichtigste für die beiden war, dass ich noch mit ihnen frühstücke und einen Tee trinke. Zum Abschied schenkte Jurij mir auch noch ein Tütchen Haselnüsse. Also ich glaube, dass ich mir hier in Russland keine Sorgen machen muss, dass ich irgendwo zu wenig zum Essen oder zum Trinken bekommen werde.

 

2 Gedanken zu „Zugfahrt in den Norden“

  1. Mensch Berthold…das sind ja „neiderzeugende“ Erlebnisse. Erst mal diese tollen Stadteindrücke… das ist super, wenn man einheimische „Fremdenfüherinnen“ hat. Glaube ich sofort, dass man da so viel mehr mitbekommt, als mit einem Reiseführer oder einer Gruppe.
    Und dann die Bahnfahrt… überhaupt deine Blogs lesen sich soooooo lecker! Die Reise von Berthold dem Weltenfahrer fing schon sehr gut an! So kann es weitergehen. Liebe Grüße aus dem verregneten Schwaben.

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