Rio de Janeiro

Di. 14.04.2015
Es war schon hell, als ich von Sao Paulo nach Rio flog. Beim Anflug sah ich die Atlantikküste und kurz vor der Landung die Bucht Baía de Guanabara, die Hochhäuser des Zentrums, den Zuckerhut und die Landebahn des Aeroporto Santos Dumont.

Rio de Janeiro aus der Luft
Rio de Janeiro aus der Luft

Der freundliche Fahrer des Flughafenbusses hielt an der richtigen Ecke und so war ich schon um 8 Uhr früh im El Misti House im Stadtteil Copacabana. Ich musste mir die Zeit bis zum Einchecken um 13 Uhr vertreiben, also überquerte ich die Avenida Atlântica zu Füßen vieler Großhotels und stand vor diesem berühmten über 4 km langen Strand. Es wurde Strandfußball gespielt, eine Slackline war gespannt und ich traf Menschen allen Alters, Hautfarbe und Körperfülle an. Auf dem Weg ans Nordostende des Strands sah ich plötzlich die Christusstatue auf dem entfernten Berg hinter den Hotels herausblitzen.

Christusstatue hinter den Strandhotels
Christusstatue hinter den Strandhotels

Diese beeindruckende Kulisse hielt mich trotz Müdigkeit wach.

An der Copacabana
An der Copacabana

Nach Fruchtsäften in einem Fast-Food-Restaurant konnte ich im Hostel etwas Schlaf nachholen. Am Abend ging ich nochmal durch den Ort, zum Strand und zum Essen am Rande der Praça Serze Del Correa, auf der die Menschen Brettspiele und Karten spielten.

Praça Serze Del Correa
Praça Serze Del Correa

An der von Martín aus Buenos Aires betriebenen Hostelbar löste ich meinen Caipirinha-Gutschein ein, wobei es nicht bei dem einen blieb. Hier waren viele Gäste auf engem Raum, aber die Atmosphäre untereinander war sehr angenehm. Es hing ein Foto der Protagonisten des Films „The Big Lebowski“ mit einem Dialog an der Wand und es wurden gute Oldies wie „Light My Fire“ oder „White Room“ gespielt. Es gab auch eine Kappenkiste mit typisch brasilianischen Karnevals-Kopfbedeckungen und eine Gruppe Brasilianer probierte diese für einen Schnappschuss aus, ehe eine Gitarre kreiste und zur Musik gesungen wurde. Als Martín seine Bar schloss, beendete ich den Tag.

Mi. 15.04.2015
Beim Frühstück klopfte man sich nach dem schönen gemeinsamen Abend auf die Schulter. Im Stadtbus gab es wie im brasilianischen Film „City of God“ einen seitlich sitzenden Kassierer und ein Drehkreuz. Als „Cristo, Cristo“ gerufen wurde, stieg ich aus und nahm die spektakuläre Zahnradbahn hoch auf den Berg Corcovado. Nach ein paar Treppenstufen hatte ich die imposante Christus-Erlöser-Statue (Cristo Redentor) direkt über mir.

Vor der Christus-Erlöser-Statue
Vor der Christus-Erlöser-Statue

Der Blick in alle Richtungen war genau so schön, wie man ihn aus bekannten Bildern kennt, besonders Richtung Zuckerhut und Strände.

Blick über die Stadt
Blick über die Stadt

Auch das Maracanã-Stadion, in dem Deutschland Weltmeister wurde, war zu sehen.

Maracanã-Stadion
Maracanã-Stadion

Die vielen Touristen waren alle so verzaubert vom Blick, dass trotz des großen Andrangs eine friedliche Atmosphäre herrschte und jeder mal mit einem Foto dran war.

Vor dem Bootshafen, dem Zuckerhut und der Copacabana (rechts)
Vor dem Bootshafen, dem Zuckerhut und der Copacabana (rechts)

Ich verweilte eine Ewigkeit dort oben, entdeckte noch die Kapelle direkt unter der Statue und nahm dann die Zahnradbahn nach unten.

Zahnradbahn zum Corcovado
Zahnradbahn zum Corcovado

Mit dem dort in die Hand gedrückten Flyer verfehlte ich zunächst das angepriesene Buffet-Restaurant, aber ein Junge half mir ungefragt weiter. Am Strand von Botafogo wurde ich vom Zuckerhut angezogen und stieg aus dem Bus.

Blick von Botafogo auf den Zuckerhut
Blick von Botafogo auf den Zuckerhut

Ich schaute den auf den Zuckerhut hochfahrenden Gondeln zu und genoss die Abendsonne.

Vor dem Zuckerhut
Vor dem Zuckerhut

Zurück an der Copacabana sah ich wie am Morgen den gleichen alten Mann, der ein riesiges Werbeschild umgehängt hatte. Im Hostel skypte ich mit Dirk, der von seiner Zeit in Rio träumte. Martín vernachlässigte zwischendurch seine Caipi-Bar, um das knappe Weiterkommen seines Clubs River Plate in der Copa Libertadores mitzubekommen. Danach war ich wieder ein guter Kunde bei Martín und unterhielt mich mit ihm und der allseits beliebten Rezeptionistin Sofia, die immer wieder freudig zur Musik tanzte. Auf der Couch lernte ich Thiago und Leidy aus Ribeirão Preto und die Chilenin Rosa kennen. Trotz Sprachproblemen verstanden wir uns sehr gut. Rosa zeigte ein Bild von ihrem erwachsenen Sohn und mit Thiago schaute ich das 62-Meter-Bundesliga-Tor von Diego, der aus der gleichen Stadt kommt, aus dem Jahr 2007 an.

Do. 16.04.2015
Es war ein Tag im Hostel mit Mails und Planungen. Später fand ich einen Nähladen für meine ramponierte Hose und kaufte mir voller Rio-Euphorie ein gelb-grünes T-Shirt. Auch dieser Abend spielte sich wieder um Martíns Hostelbar auf der Couch ab. Und unsere Gruppe vom Vortag wurde größer. Zuerst kamen die Chileninnen Mariana und Pilar dazu.

Mit Rosa, Leidy, Pilar, Thiago und Mariana auf der Hostelcouch (Kappenkiste unten, Lebowski-Bild oben)
Mit Rosa, Leidy, Pilar, Thiago und Mariana auf der Hostelcouch (Kappenkiste unten, Lebowski-Bild oben)

Später kamen noch zwei chilenische Jungs und ich zeigte mein geschenktes Chile-Fußballtrikot, das sich Mariana für ein schnelles Bild mit mir überstreifte. Der Brasilianer Gean zeigte leichtfüßig, wie man zu Samba-Musik tanzt und lud Mariana zum Mittanzen ein, Thiago legte eine Whatsapp-Gruppe für uns an und ich bemühte ein Übersetzungsprogramm. Mit dem Kanadier Jason, der älteren südafrikanischen Langzeitgästin und einer Brasilianerin des Hostels unterhielt ich mich doch noch kurz auf Englisch, verabschiedete mich aber auf Portugiesisch von der Runde: Boa noite.

Fr. 17.04.2015
Ich wurde von einer jungen Frau im Hostel zur Favela-Tour abgeholt und in einen Minibus mit zugezogenen Vorhängen gebracht. Dort saßen die freundlichen Niederländer Abdullah, mit marokkanischen Wurzeln, und William. Abdullah entschuldigte sich auf Deutsch für die von ihm verschuldete Verspätung, denn die beiden hatten am Vorabend etwas über die Stränge geschlagen, wie das eben vorkommen kann in Rio. Mit einem mexikanischen Paar war unsere Gruppe komplett und wir durften an der Hauptstraße am Rand der Favela Rocinha auf einzelne Motorradtaxis umsteigen. Mein Fahrer machte mir klar, dass ich die Knie nach innen drücken sollte. Schnell wurde mir klar warum, denn es ging halsbrecherisch die Hauptstraße nach oben, wobei er jede kleinste Lücke zum Überholen ausnutzte. Schon hier konnte ich sehen, wie das Leben auf den Straßen pulsierte: kleine bunte Häuser am Hang, spielende Kinder, einkaufende Frauen, Bauarbeiter und Baustellenfahrzeuge, kreuz und quer gespannte Stromkabel sowie Essens- und Verkaufsstände. Nach der Fahrt konnte ich meinem Motorradfahrer kein Trinkgeld geben, weil ich gar kein Geld mitgenommen hatte. Das stellte sich mehr und mehr als großer Fehler heraus, denn bei diesem ersten Halt gab es ansehnliche, teils selbst gemachte Souvenirs zu günstigen Preisen. Ein älterer Mann ließ Musik durch seine Schäpperbox laufen und tanzte dazu freudig und ausgelassen mit seinem Hund, der ein T-Shirt und eine Sonnenbrille trug. Dadurch wollte er seine Musik-CDs mit schönem Bildaufdruck der Favela verkaufen. Zudem hatten wir von dort einen herrlichen Blick auf den Corcovado mit der Christusstatue.

Blick von der Favela Rocinha auf den Corcovado
Blick von der Favela Rocinha auf den Corcovado

Zu Fuß gingen wir an all dem auf der Motorradfahrt Gesehenen vorbei in ein Haus. Hier gab es steile Treppenstufen und links und rechts immer wieder einen Eingang zu einer kleinen Wohnung. Ganz oben war ein Hostel mit einem Souvenirladen und einem Balkon, von dem aus man über die Favela bis zum Atlantik sehen konnte.

Blick über Rocinha zum Strand von São Conrado und zum Gipfel des Pédra de Gavea
Blick über Rocinha zum Strand von São Conrado und zum Gipfel des Pédra de Gavea

Hier erzählte unsere junge Führerin, dass sich bis vor gut fünf Jahren nicht mal die Polizei in die Favela traute. Auf Idee der Kirche wurde angefangen Geld in die Favela zu bringen und mit dem Bau einer Schule und eines Krankenhauses zu beginnen. So konnte die Favela erfolgreich „befriedet“ werden. Dennoch seien immer noch auf fast jeder Tour, die sie machte, Schüsse zu hören. Wenig später hörten wir auch einen, zumeist seien dies aber gewollte oder ungewollte Feuerwerke. Die Polizei sei zwar in der Favela, ließ aber den Drogenboss weiter seine Geschäfte verrichten, sei sogar derzeit in seiner versteckten Villa. Von oben konnten wir auch die ersten neu gebauten Wohnblocks mit größeren Wohnungen sehen, denn hier leben 70000 Menschen auf engstem Raum und geschätzt sind es weitaus mehr. Dann nahmen wir eine Abkürzung durch die schmalen steilen Gassen nach unten.

"Steffele" in Rocinha
„Steffele“ in Rocinha

An den Hauswänden waren viele Gemälde, insbesondere brasilianische Flaggen und der geäußerte Wunsch nach dem 6. Fußball-WM-Titel. An einer Wand waren alle Weltmeister verewigt.

Namen der brasilianischen Weltmeisterteams an einer Häuserwand in Rocinha
Namen der brasilianischen Weltmeisterteams an einer Häuserwand in Rocinha

Wir gingen am Briefkasten des Bürgermeisters der Favela vorbei, in den die Bürger Anliegen anbringen können. Nach der Idee von La Boca in Buenos Aires wurden die meisten Häuser hier bunt angestrichen.

La Boca nachgeahmte bunte Häuser in Rocinha
La Boca nachgeahmte bunte Häuser in Rocinha

Hier wurde im Inneren gearbeitet und gerade ein Eimer Zement mit einem Seil nach oben gezogen. Wir gingen an der Schule, die sogar eine Ganztagsschule ist, vorbei. Dann kamen wir zu einer kleinen Arena.

Kleine Sportarena in Rocinha
Kleine Sportarena in Rocinha

Dort rannte ein kleines schwarzes Mädchen mit Zöpfen herum, begleitet von höchstwahrscheinlich seinem Großvater. Ich schenkte dem Mädchen meinen letzten Goldberg-Bleistift und es zeigte diesen seinem Großvater. Dieser meinte, es solle sich bedanken und so kam das Mädchen zu mir zurück und umarmte mich für eine ganze Weile im Stehen, also umklammerte meine Beine, weil es ja noch nicht größer war. Das war gleichermaßen überraschend und schön. Auf die Arena kamen zwei Jungs, die Samba und Capoeira inklusive Anfeuerungsgesang vorführten. Schnell waren auch wir dran mitzumachen. Der jüngere der beiden war sehr gut darin, uns dabei gut aussehen zu lassen, und euphorisiert von der Umarmung des Mädchens schlug ich unter anderem ein Rad mit Kamera in der Hosentasche. William und Abdullah schenkten mir Geld, damit ich den beiden Jungs Trinkgeld geben konnte. Wir gingen weiter nach unten, wobei wir eine Straße auf Ratschlag der Polizei ausließen, wohl zu gefährlich. So kamen wir ins Zentrum, in dem es auch neu gebaute Bankgebäude gab. Zuletzt kamen wir zu einem Tapioca-Straßenstand, an dem eine Art Pfannkuchen aus Tapiokastärke gemacht wurden. Dann verließen wir die Favela und blickten von der Brücke noch ein letztes Mal zurück.

Blick zurück auf Rocinha
Blick zurück auf Rocinha

Schnell war ich wieder im Zentrum, aß eine Kleinigkeit und legte mich an die Copacabana an den Strand. Es liefen viele Verkäuferinnen und Verkäufer herum und boten Caipirinha, Eis, Souvenirs oder Schmuck an. Ein Uhrenverkäufer fragte mich sogar, ob ich Kokain haben möchte. Die Wellen sahen nicht besonders groß aus, aber im Wasser merkte ich, dass es kaum möglich war zu schwimmen. Am Strand liegend mit Handtuch über dem Kopf wurde ich von keinen Verkäufern mehr angesprochen. Vor der Dunkelheit fuhr ich mit der Metro nach Ipanema, wo auf der Praça General Osorio Einheimische Karten spielten. Und ich ging bis zum berühmten Strand.

Palmen vor dem Strand von Ipanema am Abend
Palmen vor dem Strand von Ipanema am Abend

Wieder zurück holte ich meine an fünf Stellen genähte Hose bei der Näherin ab. Im Hostel trank ich mit Jason zwei Dosenbier, während wir beide von Rio schwärmten. Das vom Hostel angebotene Burger-Essen wurde liebevoll von der Köchin vorbereitet. Beim Essen lernte ich zwei Jungs aus Córdoba kennen und weil sie nicht so ganz fanatische Fans waren, konnte ich ihnen auch erzählen, wie ich nach dem deutschen WM-Triumph gefeiert hatte. Die Whatsapp-Gruppe vom Vortag war weiter gewachsen und der entsprechende Tross war schon früh bereit für den geplanten gemeinsamen Party-Abend im zentralen Stadtteil Lapa. Die Mädels hatten sich ordentlich schick gemacht, zwei brasilianische Touristinnen hatten sogar Stöckelschuhe an. Ich war aber noch nicht bereit loszugehen, denn ich wollte mich mit einem Caipi bei Martín verabschieden und auch ein Foto mit ihm.

Mit Martín an der Hostelbar
Mit Martín an der Hostelbar

Er erzählte mir, dass er für mehrere Monate aus seinem Alltagsleben in Buenos Aires ausgebrochen ist, um hier in Rio zu sein, wenn auch bei niedrigerem Lebensstandard. Dann kam noch ein Freund von Martín vorbei, der ein Mädchen dabei hatte, das als Brasilianerin fast schon deutsch von der Wesensart war. Als Unternehmensberaterin aus Sao Paulo arbeitet sie seit kurzem in Rio. Um nach Lapa zu kommen, hatte ich mit Rosa und dem Argentinier Jorge doch noch eine kleine Gang und so konnten wir ohne Angst den Stadtbus nehmen, auf dessen hinterster Bank wir bei der rasanten Fahrt ordentlich hin- und hergeworfen wurden. Als wir aus dem Bus ausstiegen, war ich von dem Anblick überwältigt. Zunächst sah ich die riesig langen, zweistöckigen, hell bestrahlten Bögen Arcos de Lapa. Dann war fesselnde Samba-Musik auf den Straßen zu hören und es gab unzählige Caipi- und Fast-Food-Stände. Also gönnten wir uns einen halben Liter Caipirinha für umgerechnet 2,20 Euro und mischten uns unters Volk. Die meisten Menschen mischten ihre Getränke selbst, weil das noch billiger war und Alkohol und Flaschen auf den Straßen nicht verboten war.

Leben auf den Straßen von Lapa mit den weißen Arcos de Lapa im Hintergrund
Leben auf den Straßen von Lapa mit den weißen Arcos de Lapa im Hintergrund

Ganz im Gegenteil, es gab riesige Läden mit Schnapsflaschen aller Art. Mit Caipi in der Hand gingen wir an den Ständen vorbei.

Bei den Caipi- und Essensständen vor den Arcos de Lapa
Bei den Caipi- und Essensständen vor den Arcos de Lapa

Die Samba-Musik kam zum einen aus Kneipen, aber am schönsten war die mitreißende Musik der Straßenmusiker. Ich konnte gar nicht anders und musste, so wie ich es von Gean zwei Tage zuvor im Hostel gesehen hatte, zur Musik tanzen. Da trafen wir die zwei Jungs aus Córdoba nochmal, die uns erzählten, in welcher Disco die Leute aus der Whatsapp-Gruppe waren. Wir hatten aber einen guten Freibier-Deal mit einer Disco und gingen zu dritt dort hinein. Hier lief leider keine Samba-Musik, sondern europäische Elektro- und Dancemusik. Dennoch blieben wir dort so lange, bis die Stadtbusse wieder fuhren. Zurück an der Copacabana war es bereits hell. Ich begleitete Rosa und Jorge zum Essen und dann kamen wir zufrieden ins Hostel zurück.

Sa. 18.04.2015
Weil ich den Handywecker überhört hatte, musste ich schnell ein Taxi suchen, um den 10:45-Uhr-Bus nach Sao Paulo zu bekommen, denn dort wollte mich der Einheimische André, den ich mit Francisco in Santiago kennen gelernt hatte, zum vereinbarten Zeitpunkt abholen. Also konnte ich im Hostel nur noch kurz Leidy und Thiago zum Abschied winken. Am Busbahnhof musste ich wegen mangelnden Bargelds mit Karte zahlen und schaffte es gerade noch so in den Bus, in dem ich Schlaf nachholte, aber gleichermaßen auch bemerkte, dass die Landschaft grün und hügelig wurde.